Quelle: Frank Vollmer und Stefan Weigel (Texte), Martin Ferl (Montage) und Phil Ninh (Grafik & Programmierung)
◀︎ HEUTE
Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister, Sparkurs-Hardliner und
Hassfigur der Griechen
• FRÜHER
Pythagoras,
um 570-510 v.Chr.
»Erkenntnis spendet das
Wesen der Zahl.«
Der deutsche Finanzminister tritt in der Euro-Krise eher hartleibig auf. Mit Gefühlen muss ihm keiner kommen, entscheidend sind für ihn allein die Fakten. Viele Griechen halten ihn deswegen für eine Ausgeburt der Hölle und schrecken selbst vor Nazi-Karikaturen nicht zurück; im liquideren Teil Europas gilt er hingegen als einer der letzten Anständigen, und sein griechischer Kollege Varoufakis bewundert ihn als Intellektuellen. Als Meinungsspalter ist Wolfgang Schäuble damit ähnlich effizient wie der a²+b²=c²-Mann aus der Antike: Bei ihm streiten Forscher bis heute darüber, ob er ein Genie oder ein Schamane war.
◀︎ HEUTE
David Cameron,
britischer Premierminister, der bereits Vorkehrungen für den Grexit trifft
• FRÜHER
Zenon von Kition,
um 333-262 v. Chr.
»Wir haben zwei Ohren und einen Mund, deshalb sollten wir mehr zuhören als reden.«
Großbritannien als Euro-Land? Vor einem guten Jahrzehnt war das zumindest noch denkbar. Tempi passati – heute steht sogar ein Komplett-Austritt aus der EU zur Debatte. David Cameron hält es deshalb währungspolitisch mit dem Stoiker Zenon, plant eine Volksabstimmung und dürfte ganz zufrieden damit sein.
◀︎ HEUTE
Matteo Renzi, Ministerpräsident Italiens, das selbst hoch verschuldet ist und nicht auf Zahlungen aus Athen verzichten will.
• FRÜHER
Archimedes,
um 287-212 v.Chr.
»Störe meine Kreise nicht!«
Matteo Renzi hat Italien mühsam auf Reformkurs gebracht. Da wird er sich herzlich bei den Griechen bedankt haben, als die unlängst vor einem italienischen Staatsbankrott warnten. Renzi muss unbedingt verhindern, dass die Euro-Krise in seinem Land erneut virulent wird. Deswegen ist Archimedes sein philosophischer Patron – auch wenn der seinen Ausruf mit dem Leben bezahlt haben soll. Denn er hatte ihn an die römischen Soldaten gerichtet, die seine Heimatstadt Syrakus eroberten und ihn aus seinen Gedanken rissen.
◀︎ HEUTE
Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, der die
D-Mark(umgangs-sprachlich: Euro) hütet wie seinen Augapfel und vor unerlaubter
Staatsfinanzierung warnt
• FRÜHER
Ptolemaios,
um 100-160
»Die am weitesten südlich
wohnen, sind im
Allgemeinen gerissener
und erfindungsreicher.«
Klaudios Ptolemaios war mal eine ganz große Nummer in der Astronomie – seine Lehre, dass sich die Sonne um die Erde drehe, galt 1500 Jahre als richtig. Jens Weidmanns Bundesbank war auch mal eine ganz große Nummer – die mächtigste Notenbank Europas, bis der Euro kam. Inzwischen haben die Deutschen im EZB-Rat in einzelnen Monaten dank des Rotationsprinzips nicht mal mehr Stimmrecht. In der Auseinander-setzung mit der neuen griechischen Regierung gehört Weidmann zu den Hardlinern. Griechische Kreativität beim Sparprogramm lehnt er kategorisch ab.
◀︎ HEUTE
Wladimir Putin, russischer Präsident und Stratege, der endlich mal ein Land ohne Gewalt übernehmen könnte
• FRÜHER
Zarathustra,
um 600 v.Chr.
»In jedem Anfang liegt
schon das Ende.«
Der Kosmos des persischen Religionsstifters ist trennscharf unterteilt in Gut und Böse. Ein Weltbild, das einem Präsidenten, der sich früher als KGB-Agent durchs Leben schlagen musste, ganz sympathisch sein dürfte. Und so wie die alten Griechen Zarathustra als großen Weisen schätzten, so suchen die neuen Griechen die Nähe zum Herrscher aller Reußen. Vermutlich, weil der Name „Putin“ im Slawischen so viel bedeutet wie „Ratgeber“ und „Wegweiser“. Oder weil er Geld hat.
◀︎ HEUTE
Jeroen Dijsselbloem, Vorsitzender der Euro-Gruppe und damit neutral, aber im Herzen ein Fan der Spargemeinschaft Merkel/Schäuble
• FRÜHER
Plotin,
205-270
»Freiwillig ist alles, was wir
tun ohne Zwang, aber mit
Bewusstsein.«
Der Name Plotin dürfte vielen Deutschen etwa so viel sagen wie der Name Dijsselbloem, nämlich nichts. Was schade ist, denn der Leiter einer römischen Philosophenschule und Begründer des Neu-Platonismus genoss wegen seines Intellekts und seiner Integrität großen Respekt bei seinen Zeitgenossen, die ihn häufig als Schiedsrichter bei Streitigkeiten anriefen. Doch wann flocht die Nachwelt je einem Schiedsrichter einen ewigen Lorbeerkranz? Vermutlich erinnert sich in 1800 Jahren auch kaum jemand an den heutigen Euro-Gruppen-Chef.
◀︎ HEUTE
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, der es gern sieht, wenn Verträge eingehalten werden, aber auch gern auf eigene
Faust über
Erleichterungen
verhandelt
• FRÜHER
Diogenes,
um 410-323 v.Chr.
»Ich bin nicht verrückt,
mein Kopf ist nur anders
als eurer.«
Diogenes ist vermutlich der seltsamste Vogel auf Raffaels Fresko, von ihm sind allerlei Schrullen überliefert, die auch nach heutigen Maßstäben ungewöhnlich wären – um nur das Mindeste zu sagen. Nicht ohne Grund halten die anderen Geistesgrößen einen gehörigen Sicherheitsabstand. Für den Präsidenten der Europäischen Kommission taugt er dennoch als Vorbild, vor allem wegen seines dicken Fells: Es heißt, Diogenes habe Statuen um Almosen angeschnorrt – nur um sich ans Scheitern zu gewöhnen. Eine nützliche Übung für jeden, der gelegentlich mit der deutschen Kanzlerin zu tun hat.
◀︎ HEUTE
Mario Draghi,
Präsident der Europäischen Zentralbank, hilfsbereiter Gegner eines Schuldenschnitts
• FRÜHER
Aristoteles,
von 384-322 v.Chr.
»Es ist nicht jedermanns
Sache und nicht leicht zu
entscheiden, wem, wie
viel, wann, zu welchem
Zweck und in welcher
Weise man geben soll.«
Für Aristoteles, neben Platon die zentrale Figur in Raffaels „Schule von Athen“, war Geld kein Wert an sich, sondern Mittel zum Zweck. Für „Mister Euro“ Mario Draghi auch – schon 2012 entschärfte er die Euro-Krise mit dem bemerkenswerten Satz, die EZB werde „alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten“. Inzwischen betreibt die Zentralbank nach Ansicht ihrer Kritiker ein verdecktes Staatsfinanzierungsprogramm, indem sie massiv Anleihen von Krisenstaaten aufkauft. Doktor Draghis Mittelchen erfüllen bisher ihren Zweck. Nebenwirkungen: noch nicht absehbar.
◀︎ HEUTE
Angela Merkel, Bundeskanzlerin und Mutter aller Sparappelle
• FRÜHER
Platon,
427-347 v.Chr.
»Lieber sollen mir die
Massen widersprechen, als
dass ich nicht im Einklang
mit mir selbst wäre.«
Neben Aristoteles ist Platon das Dickschiff in der Philosophenflotte. Sein Höhlengleichnis gehört zum humanistischen Bildungskanon. Zum Politpaten für Angela Merkels Handeln in der Eurokrise qualifiziert sich der Musterschüler des Sokrates aber durch sein Spätwerk – das Streben nach dem zweitbesten Staat. Überragende Intelligenz gepaart mit Gestaltungswillen und altersweiser Beschränkung auf realistische Ziele – so kommt man als Poster-Boy in den Spind der Kanzlerin!
◀︎ HEUTE
François Hollande,
französischer Präsident, der als Vermittler zwischen Nord- und Südländern immer enger an Merkel rückt
• FRÜHER
Sokrates,
469-399 v.Chr.
»Ich weiß, dass ich
nichts weiß.«
Sokrates gilt als Erfinder des Erkenntnisgewinns durch den Dialog. Eine philosophische Technik, die François Hollande in vielen Euro-Rettungsgesprächen mit Angela Merkel erproben konnte. Er muss dabei allerdings jedes Mal darauf vertrauen, dass im deutsch-französischen Zwiegespräch keine Nuancen verloren gehen – wie etwa bei Sokrates. Dessen berühmtes Zitat wurde von seinem römischen Kollegen Cicero etwas schlampig übersetzt und muss eigentlich heißen: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“
◀︎ HEUTE
Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, der zwar gegen einen Schuldenerlass, aber für längere Tilgungsfristen eintritt
• FRÜHER
Heraklit,
um 535-475 v.Chr.
»Alles fließt.«
Für Heraklit war die Wirklichkeit nicht statisch, sondern ein ständiger Prozess; er glaubte, der Streit sei der Vater aller Dinge, und die Welt bestehe aus Gegensätzen, die ineinander umschlagen. 2500 Jahre und viele Straßburger Sitzungen später weiß niemand besser als der Präsident des EU-Parlaments: Der große Philosoph hatte recht. Weshalb sich auch niemand wundern darf, dass Martin Schulz, obwohl selbst ein Freund herzhafter Rhetorik, den griechischen Ministerpräsidenten zur verbalen Abrüstung aufruft.
◀︎ HEUTE
Alexis Tsipras, griechischer Ministerpräsident und Volkstribun, der wie ein Wahnsinniger für einen Schuldenschnitt kämpft
• FRÜHER
Parmenides von Elea,
um 520-460 v.Chr.
»Denken und sein ist
dasselbe.«
Pippi Langstrumpf („Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“) wäre eine passende Patronin für den griechischen Regierungschef gewesen, dessen vollmundige Wahlversprechen derzeit geräuschvoll auf die Realität prallen. Pippi Langstrumpf gehört aber auch bei sehr wohlwollender Betrachtung nicht zum abendländischen Philosophen-Kanon. Deshalb also Parmenides – dessen einziges erhaltenes Werk verhandelt die Frage, was wirklich ist und was die Menschen für wirklich halten. Vielleicht lassen sich die griechischen Schulden ja noch wegwünschen. Man müsste mal das Sams fragen.
◀︎ HEUTE
Mariano Rajoy,
spanischer Ministerpräsident, der nicht einsieht, warum er selbst reformieren soll und gleichzeitig den Griechen ihre Schulden
erlassen
• FRÜHER
Aischines,
um 390-314 v.Chr.
»Es liegt bei den Bürgern,
das Urteil zu sprechen,
das gerecht und gut für
die Stadt ist.«
Ist Mariano Rajoy der nächste? Im Herbst steht im Euro-Krisenland Spanien eine Parlamentswahl an, und wie in Griechenland schickt sich eine linke Bewegung an, die Macht zu übernehmen und die Konfrontation mit den Euro-Partnern zu suchen. Die Populisten von „Podemos“ werfen Rajoy Betrug am Volk vor – so wie einst in Athen die Gegner der übermächtigen Makedonen um Demosthenes den Gemäßigten um Aischines Verrat vorwarfen. Die neuen Makedonen, das ist die EU. Fragt sich nur, wer Alexander der Große werden soll.
◀︎ HEUTE
Nikos Kotzias, griechischer Außenminister und Ex-Kommunist, für den Angriff die beste Verteidigung ist
• FRÜHER
Xenophon,
um 430-355 v.Chr.
»Eure Taten werden vor das
Angesicht der ganzen Welt
treten.«
Der Ton in der Euro-Krise ist zwischen Athen und Berlin besonders gereizt, und der neue griechische Außenminister trug seinen Teil dazu bei, indem er mal wieder Reparationszahlungen von Deutschland forderte. Dass er damit in Berlin auf Granit beißt, dürfte ihn nicht anfechten – Kotzias sieht sich gern als Kämpfer auf einsamem Posten. Deshalb ist Xenophon sein historischer Patron, jener Geschichtsschreiber, der den verzweifelten Heimweg eines griechischen Söldnerhaufens aus Persien beschrieb. Der hatte übrigens ein Happy End.
◀︎ HEUTE
Giannis Varoufakis, griechischer Finanzminister und Wirtschaftsprofessor am Gängelband seines Chefs Alexis Tsipras
• FRÜHER
Alkibiades,
um 451-404 v.Chr.
»Wäre es nicht besser zu
überlegen, wie man
überhaupt keine
Rechenschaft zu geben
bräuchte?«
Lederjacke, Hemd aus der Hose, Hand in der Tasche – Griechenlands neuer Finanzminister ist ein Inbegriff der Lässigkeit. Noch viel lässiger war sein historischer Patron, der Staatsmann Alkibiades, der fröhlich zwischen Athen und Sparta die Seiten wechselte, wie es seinem politischen Vorteil entsprach. Das Ganze nahm freilich ein übles Ende: Nachdem sich Alkibiades final verspekuliert hatte, floh er nach Persien, wurde aber unterwegs ermordet. Selbst wenn es in Europa heute nur für den Euro um Leben und Tod geht: Varoufakis‘ Ringen um neue Konditionen für Athen bleibt ein Ritt auf der Rasierklinge.
◀︎ HEUTE
Antonis Samaras, früherer griechischer Ministerpräsident, der zwar einen Sparkurs umgesetzt hat, die ganz harten Reformen aber nicht
• FRÜHER
Boethius,
um 480-525
»Hättest du geschwiegen,
wärst du ein Philosoph
geblieben.«
Der frühere griechische Ministerpräsident machte sich zunächst mit seiner Sparpolitik im eigenen Land unbeliebt und bewies dann mit vorgezogenen Neuwahlen Sinn für Humor und stilvolles politisches Harakiri. Darf jetzt zusehen, wie sein Nachfolger Alexis Tsipras ganz Europa auf die Palme treibt. Hätte endlich genügend Zeit, um „Trost der Philosophie“ zu lesen, das Hauptwerk des Boethius über die Nichtigkeit irdischer Güter. Anders als Samaras musste sich der römische Politiker allerdings nicht selbst aus dem höchsten Staatsamt entfernen – er wurde gefeuert, verhaftet und hingerichtet.
◀︎ HEUTE
Christine Lagarde,
IWF-Chefin, die als größte Gläubigerin Griechenlands keine Lust hat auf weitere Finanzhilfen
• FRÜHER
Averroës,
(1126-1198)
»Die Lehren über die Welt weichen nicht so sehr voneinander ab, dass die einen als Unglaube zu verurteilen sind und die anderen nicht.«
Der arabische Philosoph Averroes war nicht nur Rechtsgelehrter, sondern auch Leibarzt des Kalifen – und taugt damit wunderbar als Vorbild für Christine Lagarde: Schließlich fungiert die Juristin als Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF derzeit hauptamtlich als Hofärztin der Eurozone. Ein Job, den Averroes vermutlich abgelehnt hätte, denn nichts war ihm wichtiger als ein Handeln nach den Gesetzen der Vernunft.
◀︎ HEUTE
Bernd Lucke,
AfD-Vorsitzender und Euro-Kritiker
• FRÜHER
Epikur,
341-um 270 v.Chr.
»Der Tod ist für uns
ein Nichts.«
Athen müsse die Euro-Zone verlassen, wenn es einen neuen Schuldenschnitt gebe, wiederholt gebetsmühlenartig der Chef der eurokritischen AfD. Schlimmstenfalls will die Partei auch den Euro in Deutschland aufgeben – nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Bernd Lucke ist damit der wahre Epikureer, der äußere Unbilden mit Heiterkeit erträgt. Sogar den (Währungs-)Tod. Wer AfD-Parteitage überlebt hat, den schreckt eben nichts mehr.